Depression: Aggression nach Innen

Depression: Aggression nach Innen

Dialog mit meiner Decke – oder was Depression mir eigentlich sagen will

Ich: „Nur fünf Minuten liegen bleiben. Ganz kurz.“
Die Decke: „Klar. Nur fünf Minuten. Wie gestern. Und vorgestern.“
Ich: „Du bist ganz schön frech für ein Stück Stoff.“
Die Decke: „Ich bin nicht frech. Ich bin ehrlich. Du brauchst mich, um dich zu verstecken.“

Da liegt sie also auf mir. Schwer, warm, schützend. Und doch fühlt sie sich manchmal an wie eine zweite Haut, die mich festhält. Ich nenne sie liebevoll meine Decke der Verdrängung. Sie weiß zu viel über mich.

Depression ist für mich kein Nebel, sondern eine Stille, die zu laut geworden ist. Es ist, als würde man alles hören, was man lange nicht hören wollte. Die eigenen Gedanken, die eigenen Widersprüche, das, was man sich nie verziehen hat.

  • Ich habe irgendwann begriffen, dass diese Stille eine Form von Energie ist. Eine gebundene Kraft. Nicht verschwunden, sondern nach innen gedrückt. Wenn Wut, Trauer oder Schmerz keinen Ausdruck finden, bleibt die Spannung im Körper. Sie wartet. Und irgendwann zeigt sie sich.

Ich: „Warum fühlst du dich so bleiern an?“
Die Decke: „Weil du zu lange versucht hast, tapfer zu sein. Ich bin das Gewicht all dessen, was du nicht gesagt hast.“

Das hat gesessen.

Depression ist keine Schwäche. Sie ist ein Signal. Sie zeigt, dass der innere Druck zu groß geworden ist, dass etwas Aufmerksamkeit braucht. Dass der Körper versucht, eine Wahrheit zu halten, die zu schwer geworden ist.

  • Spannung, die nicht gesehen wird, sucht sich ihren Weg. Manche weinen, manche explodieren, manche ziehen sich zurück. Und wieder andere werden still, so still, dass sie sich selbst kaum mehr hören. Diese Stille kann gefährlich wirken, dabei ist sie oft nur Schutz.

Ich: „Also willst du mir etwas zeigen?“
Die Decke: „Natürlich. Ich will, dass du hinsiehst. Dass du fühlst, was du dir abgewöhnt hast zu fühlen.“

Das Hinsehen tut weh. Es reißt alte Wunden auf. Aber genau dort beginnt Heilung. Nicht, indem man kämpft, sondern indem man erlaubt, dass es da sein darf.

Was mir geholfen hat: Musik. Ich habe irgendwann gemerkt, dass sie mich an etwas erinnert, das ich im Alltag vergessen hatte. Wenn ich Menschen frage, was sie an einem Lied mögen, sagen die meisten: die Melodie, die Stimme, der Rhythmus. Kaum jemand sagt: die Pausen. Dabei sind es genau diese stillen Momente zwischen den Tönen, die ein Lied lebendig machen.

Warum also leben wir unser Leben ohne Pausen? Warum glauben wir, immer weiterspielen zu müssen, ohne Atem, ohne Stille dazwischen? Heilung entsteht genau dort: in der Pause, in der wir nichts leisten, nichts erklären, nichts verdrängen. In diesem Raum darf alles kurz still sein. Und das reicht oft schon, damit etwas Neues beginnt.

Depression erzählt Geschichten von Schuld, Scham und unerfüllter Sehnsucht. Doch sie erzählt sie nur, wenn man zuhört. Hinter all der Schwere liegt oft etwas sehr Lebendiges: der Wunsch, wieder zu spüren.

Ich: „Und was, wenn ich das nicht aushalte?“
Die Decke: „Dann bleib. Und atme. Ich halte dich, bis du es kannst.“

Mit der Zeit wird sie leichter, weil etwas gesehen wurde. Die Spannung im Körper löst sich, wenn man sie anerkennt. Dann kann Bewegung entstehen.

Depression will nicht zerstören. Sie will verändern. Sie ist der Moment, in dem der Mensch spürt, dass es so nicht weitergeht. Der Körper ruft nach Wahrheit, nach Luft, nach Leben.

Ich: „Also bist du gar nicht mein Feind?“
Die Decke: „Ich bin dein Spiegel. Ich zeige dir, was du lange getragen hast.“

Vielleicht ist genau das der Anfang – nicht der Weg aus der Dunkelheit, sondern der Schritt hinein ins Fühlen.
Und irgendwann hebt sich die Decke. Ganz von selbst.