Hochsensibilität - das Alarmsignal der heutigen Gesellschaft von Lizz (Elisabeth Malle)

Hochsensibilität - das Alarmsignal der heutigen Gesellschaft von Lizz (Elisabeth Malle)

Hochsensibilität: Warum es eigentlich ein Alarmsignal ist und kein Grund zum Feiern

Hochsensibilität – ein Begriff, der in den letzten Jahren enorm an Popularität gewonnen hat. Bücher, Kurse und zahllose Blogs feiern die Hochsensiblen als besondere Menschen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, die intensiver fühlen, stärker wahrnehmen und eine tiefere Verbindung zur Welt haben. Aber was, wenn diese „Gabe“ eigentlich ein Schutzmechanismus ist? Was, wenn Hochsensibilität weniger mit einer Stärke als vielmehr mit einem Alarmsystem zu tun hat, das schon in der Kindheit entwickelt wurde, um Gefahren auszuweichen?


Was bedeutet Hochsensibilität wirklich?

Hochsensibilität wird oft als die Fähigkeit beschrieben, Reize intensiver wahrzunehmen, sei es auf emotionaler, physischer oder sozialer Ebene. Hochsensible Menschen können Stimmungen in einem Raum spüren, bevor jemand ein Wort gesagt hat, oder sie reagieren empfindlich auf Lärm, Gerüche und Licht. Es klingt fast wie eine Superkraft, oder?

Aber hier kommt die Wahrheit: Hochsensibilität ist kein Geschenk, sondern ein Schutzmechanismus. Stell dir vor, du bist ein Kind, und um dich herum herrscht ständig Unsicherheit oder Gefahr – emotional, körperlich oder sogar sozial. Was macht dein Körper? Er schaltet auf Überlebensmodus. Deine „Antennen“ werden ausgefahren, und du entwickelst eine fast übernatürliche Fähigkeit, potenzielle Bedrohungen wahrzunehmen. Das Problem? Dein Nervensystem bleibt in diesem Zustand der ständigen Alarmbereitschaft, auch wenn die Gefahr längst vorbei ist.


Die Wurzel der Hochsensibilität: Schutz, nicht Stärke

Hochsensibilität entsteht oft in der Kindheit, wenn ein Umfeld vorherrscht, das nicht sicher oder stabil ist. Vielleicht waren die Eltern unberechenbar, streitsüchtig oder emotional nicht verfügbar. Vielleicht gab es Mobbing, Vernachlässigung oder andere Formen von Traumata. Um in dieser Umgebung zu überleben, musste das Kind lernen, die kleinsten Anzeichen von Gefahr zu erkennen. Es war ein Überlebensinstinkt.

Das Nervensystem eines hochsensiblen Menschen ist wie ein Rauchmelder, der bei der kleinsten Bewegung anspringt. Ja, es schützt dich vor potenziellen Gefahren – aber es hält dich auch ständig in einem Zustand der Übererregung. Es ist wie ein Auto, das auf Vollgas läuft, selbst wenn du eigentlich nur im Leerlauf stehen solltest.


Warum feiern wir Hochsensibilität dann so sehr?

In unserer modernen Welt wird Hochsensibilität oft romantisiert. Es wird mit Kreativität, Empathie und Tiefe assoziiert. Und ja, hochsensible Menschen können diese Eigenschaften besitzen. Aber zu sagen, dass Hochsensibilität ausschließlich positiv ist, wäre, als würde man Darmprobleme feiern, weil sie einen zwingen, mehr auf seine Ernährung zu achten. Das Grundproblem – ein überreagierendes Nervensystem – wird dabei komplett ignoriert.

Das eigentliche Ziel sollte sein, herauszufinden, warum jemand hochsensibel ist und was das Nervensystem in diesen ständigen Alarmzustand versetzt hat. Stattdessen wird oft nur die Oberfläche betrachtet, und Menschen werden in ihrer Hochsensibilität bestärkt, ohne sich mit der Ursache auseinanderzusetzen.


Die Schattenseite der Hochsensibilität

Hochsensibilität mag auf den ersten Blick faszinierend erscheinen, aber sie bringt auch zahlreiche Herausforderungen mit sich:

  1. Ständige Reizüberflutung: Hochsensible Menschen fühlen sich in lauten, überfüllten Umgebungen oft unwohl. Ihr Nervensystem kann einfach nicht abschalten.
  2. Emotionale Erschöpfung: Das permanente Wahrnehmen und Verarbeiten von Gefühlen – den eigenen und denen anderer – kann unglaublich anstrengend sein.
  3. Schwierigkeiten, Grenzen zu setzen: Viele Hochsensible haben Probleme, sich abzugrenzen, und fühlen sich schnell überfordert.
  4. Chronische Anspannung: Der Körper bleibt in einem Zustand der Alarmbereitschaft, was langfristig zu körperlichen Beschwerden wie Schlafproblemen, Verdauungsstörungen oder chronischer Erschöpfung führen kann.

Der Weg zur Heilung: Zurück zur Balance

Hochsensibilität ist nicht das Problem – das Trauma oder die Unsicherheiten, die sie ausgelöst haben, sind es. Der erste Schritt zur Heilung ist, diese Wurzeln zu erkennen und anzunehmen. Es bedeutet, sich mit den Erfahrungen auseinanderzusetzen, die das Nervensystem so empfindlich gemacht haben, und neue Wege zu finden, Sicherheit zu schaffen.


Fazit: Hochsensibilität als Warnsignal verstehen

Hochsensibilität ist kein Stigma, aber sie sollte auch nicht glorifiziert werden. Sie ist ein Hinweis darauf, dass das Nervensystem überfordert ist und Unterstützung braucht, um wieder in Balance zu kommen. Wenn wir uns die Zeit nehmen, die Ursachen zu erkennen und anzugehen, können wir nicht nur die Herausforderungen der Hochsensibilität bewältigen, sondern auch ihre positiven Seiten entfalten – auf eine gesunde und nachhaltige Weise.

Denn am Ende geht es nicht darum, unsere „Antennen“ weiter zu feiern, sondern sie vielleicht auch mal einzuklappen, wenn die Welt um uns herum sicher genug ist.

Deine Lizz (Elisabeth Malle aus Goodbye Deutschland)